SCHNELLER. HIGHER. STÄRKER. 

Zwei skulpturale Ansätze zum Thema Sport & Spiel

Humpty Dumpty sat on a wall,
Humpty Dumpty had a great fall,
All the King’s horses and all the King’s man, 
Couldn’t put Humpty together again. 

Was macht Humpty Dumpty so interessant? Ein Ei mit menschlichen Zügen sitzt auf einer Mauer und durchlebt eine Geschichte, erzählt in einem vierzeiligen Reim, um Kinder in den Schlaf zu wiegen.

Spannend ist sie nicht. Schon nach 12 Wörtern wissen wir, wie sie ausgeht: Er fällt. Er bricht. Verhängnisvoll ist nur, nach dem Sturz wird er, gleich was irgendwer versucht, nie wieder, wie er mal war. Sollen Kinder so lernen, dass Fallen zum Leben gehört, oder haben wir lediglich eine intrinsische Freude am Scheitern anderer? 

Bei Martin Grandits trägt Humpty Dumpty das Gesicht von Wayne Rooney. Geboren in Liverpool, in eine Arbeiterklasse Familie voller Boxer, doch selbst mit viel Gefühl fürs Runde Leder, musste er sich früh entscheiden, ob er sein Herz in seine Fäuste oder Füße stecken solle. Er entschied sich für zweiteren Weg und avancierte jung zum Rekordtorjäger. 

Bei Grandits sieht er glücklich aus. Er lacht, wie aus dem Ei gepellt, im englischen Nationaltrikot mit der Nummer 10. Die Szenerie erinnert an Paul McCarthy’s Tomato Head, nur, dass Rooney nicht zwischen Gartenartefakten, sondern Fußballschuhen drapiert auf Kunstrasen posiert.

Und dennoch, wie bei Humpty Dumpty, schwant uns Übles – ein Geschichtsverlauf, der unausweichlich ist oder ganz im Sinne von Murphy’s Gesetz: „Anything that can go wrong will go wrong.“ 

Doch der Blick bleibt nach vorne gerichtet. „Drah di ned um“ wie es in Falcos Kommissar heißt und an anderer Stelle „Den Schnee, auf dem wir alle talwärts fahren, kennt heute jedes Kind.“ Und so schauen wir auf Grandits zweite Skulptur der Ausstellung – eine klassische Sigmund Freud Büste aus Bronze mit Grünspan patiniert, thronend auf einem Podest aus sechs weißen Steinen, geschützt von Andi Goldbergers Skihelm, nachmodelliert in Überlebensgröße.

Sie liest sich wie ein Sinnbild auf Goldbergers Skandaljahre und gleichermaßen eine Hommage an Freuds tiefenpsychologisches Drei-Instanzen-Modell. 

Der Helm mit seinen Sponsorenlogos schützt weniger, als dass er die Wert- und Normvorstellungen, den Druck des gesellschaftlichen „Über-Ichs“ für die Betrachtenden greifbar macht. Das „Es“, die Versuchung, der Reiz, manifestiert sich in den sechs weißen „Rocks“, die manche:r aus Briefen kennt, die gerne auf Toiletten und in den Backstage Räumen einschlägiger Szenelokale geöffnet werden. Der Seiltanz dazwischen ist ein Balanceakt der Unmöglichkeit. Wer einmal in einem Skilift saß weiß, dass eine Gondel wackelt und, dass sie nicht ewig bergauf fährt. 

Kaum jemand steht so exponiert im Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit wie Spitzensportler:innen, hat größeren Werbewert, wird angehalten fast hofnärrisch immer wieder die eigene Meinung kundzutun, auch wenn man vom Thema nichts versteht, kaum jemandem wird so auf die Finger geschaut. 

Man könnte meinen, Künstler:innen wären hier freier. Der Maler Edgar Degas schrieb sinngemäß, anders als beim Fußball, würde man in der Kunst die meisten Tore im Abseits erzielen. Und hier beißt sich die Katze in den eigenen Schwanz. Denn eine führende Position im Abseits ist nicht weniger leicht zu halten als der Spitzenplatz einer Torschützenliste – immer oben, sitzend auf der Mauer ... und wir schauen dabei zu. 

David Hassbach

Text from the exhibition „Schneller.Higher.Stärker.“, 2022 Text by David Hassbach
4/6