Grandits for All

Fahim Amir

⁠Ersparen wir uns doch den transzendentalen Quatsch,
wenn das Ganze so eindeutig ist wie ein Kinnhaken.
Ludwig Wittgenstein

Der gute Witz, egal wie politisch inkorrekt er zunächst wirken mag, zeichnet sich dadurch aus, dass prinzipiell alle über ihn lachen können. Dies unterscheidet ihn vom Durchschnitts-Witz, dessen wesentliche Funktion für Sigmund Freud in einer doppelten Gruppenbildung bestand: Der Witz bringt eine lachende Gruppe hervor und erzeugt dabei eine weitere – diejenige, auf deren Kosten der Witz geht.

Der gute Witz hingegen sprengt diese Wirkung, indem er beide Gruppen (die Lachenden und die Ausgelachten) vermischt und die Möglichkeits-bedingungen des Witzes selbst zum Gegenstand des Spottes werden lässt. Ein Beispiel: „Was ist der Unterschied zwischen Rassismus und Asiaten? Rassismus hat viele Gesichter.“ Unter der offensichtlichen und oberflächlichen Dummheit dieses Witzes lauert ein demokratisches Ver-sprechen: Hier kommt niemand sauber raus. Weder wer ihn erzählt, noch wer lacht und schon gar nicht der Witz selbst. Denn der gute Witz atmet die gleiche universelle Luft wie der egalitär-unflätige Battle-Rap. Auch hier heißt es: Entweder gegen alle oder gegen niemand. 

Die von kippenbergerisch anmutender Gewitztheit beseelten Arbeiten des Künstlers Martin Grandits sind in ihren besten Momenten von einer solchen Qualität. In der Suspension ihres Humors lernen wir etwas über uns selbst. Mehr noch: Im stroboskophaften Blitzlicht ihrer virtuosen Pointen wird die Gegenwart der Welt bis zur Erträglichkeit transfiguriert und bruchstückhaft lesbar. ⁠

⁠⁠Die Leber wächst mit ihren Aufgaben

So mag uns Grandits‘ Leberkäse-Semmel in Gips zum Lächeln animieren. Doch ihre Materialästhetik wirft die Frage auf, um was es hier eigentlich geht? Vielleicht Verletzlichkeit und Hilfe, denn nicht nur gebrochene Knochen werden eingegipst, auch beschädigte Kunstwerke werden oft durch bemalten Gips ist aber ebenso

Entwurf „Strassenbahnhaltestelle Station to Leberkäse“, 2014

wesentlicher Bestandteil ornamentaler Raumgestaltung. So heißt es in Immobilien-Annoncen gern „Altbau mit hoher Decke und Stuck“. Grandits’ Göttliche Komödien holen den Stuck vom Himmel auf die Erde und arrangieren ihn sokratisch als irdisches Stück vom Glück. 

⁠⁠Im Glanz von Grandits‘ Leberkäse-Semmel in Porzellan spiegelt sich
eine ganze Welt: Von Marco Polos spätmittelalterlichen Berichten über seltsames und kostbares chinesisches Geschirr, über die europäische Nacherfindung der – als „weißes Gold“ bezeichneten – Feinkeramik durch den Alchemisten Johann Friedrich Böttger zu Beginn des achtzehnten Jahrhunderts, bis hin zur Gründung traditionsreicher Porzellanmanu-fakturen, dem Aufkommen von Figurensammler*innen und der Assoziation mit den Ritualen gehobener Lebenswelten der Vergangenheit. Nicht zuletzt verweist sie auf Wesen am falschen Ort und die bildhafte Stärke destruktiver Bewegungen: Die Rede ist vom sprichwörtlichen Elefanten im Porzellanladen. Zugleich überblendet die Entscheidung ein profanes Lebensmittel in Porzellan zu gießen Unterscheidungsroutinen zwischen Hoch- und Alltagskultur: Wer entscheidet, was als porzellanwürdig gilt? 

Es sind die kleinen Gesten, die auf große Energien verweisen. So ist für Grandits die profane Tankstelle nicht nur Habitat und Soziotop, sondern auch ein seismografischer Raum: Die Leidenschaft mit der ein beeindruckend beleibter Herr in einer Tankstelle am Wiener Gürtel in eine Leberkäse-Semmel biss, ließ nach Aussage des Künstlers die Umsteh-enden verstummen, signalisierte bosshafte Autorität und inspirierte die Verkunstung der plebejischen Gourmant-Speise. 

Tote Philosophen und nahöstliche Neo-Österreicher*innen würden eines weiteren Resonanzraums Gewahr werden: Bei Aristoteles galt die Leber als Sitz der Gefühle, schließlich ist das Innere der Leber der heißeste Ort des menschlichen Körpers, zuständig für die Erwärmung des Blutes und damit des ganzen Körpers. In vielen Ländern des Nahen und Mittleren Ostens adressiert man auch heute den oder die Geliebte*n nicht als „mein Herz!“, sondern als „meine Leber!“. Grandits lässt die indigenen Bewohner des Planeten Tankstelle zu philosophischen Orientalen werden, wenn sich Liebe und Leber vermischen. 

⁠Leber Day

Nicht der sozial-distinktive Blick „von oben“ über mangelnde Kon-sumkennerschaft „weiter unten“ kennzeichnet Grandits‘ Arbeit an den materiell-semiotischen Mythopoetiken der Gegenwart: Der fast religiöse Eifer der alltagskulturellen Verehrung der Leberkäse-Semmel als
„Steak des kleinen Mannes“ ist kein falsches Bewusstsein (schlechte Lebens-mittelqualität, unausgewogene Ernährung, mangelnde Subtilität der Geschmacksnuancen usw.). Stattdessen nimmt Grandits die reale Kraft ihrer diesseitigen Spiritualität in den Blick. Dieser Zugang wird möglicherweise mithilfe des Marx’schen Diktums zu Religion als Opium des Volkes verständlicher. Das Problem mit der weit verbreiteten, jedoch falschen, Zitierung als Opium für das Volk ist, dass Religiosität hier auf eine bloß instrumentelle Manipulationsmaschine für diejenigen, die es eben nicht besser wissen, reduziert wird. 

⁠Den subtilen und poetischen Nuancen von Grandits’ vielschichtig-plakativen Arbeiten kommt man möglicherweise durch das Marx´sche Originalzitat aus seiner Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie
näher: „Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt der herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volkes.“ Der Gedanke des Atheisten Marx zu Religion als Opium des Volkes und gleichsam Herz in einer herzlosen Welt ist, dass man von Religion nicht nur verblendet und beherrscht wird, sondern auch etwas von ihr bekommt: z.B. Trost (gleichgültig wie fragwürdig dieser manchen erscheinen mag). Religion manipuliert nicht nur „von außen“ die Subjekte, sondern Religion gehört zu einem gewissen Grad den Subjekten bzw. wird von diesen so erlebt. Auch die Leberkäse-Semmel stillt nicht nur den Hunger sterblicher Körper; ihre dampfend-schwitzende Softness spendet wohlige Wärme in einer kalten und harten Welt – auch wenn sie nicht so recht in die Ideologie fitter Körper und schlanker Staaten passen will. Zugleich fragt Grandits‘ Skulptur hintersinnig, welche Bedürfnisse eine nichtessbare Leberkäse-Semmel befriedigt und für wen? 

Eine Arbeit, die wichtige Dimensionen seiner Kunst exemplarisch konzentriert, trägt den Titel „Station to Leberkäse“: Es handelt sich um das Modell eines Dachentwurfs für die Straßenbahnstation Arbeitergasse in Form eines gigantischen Leberkäselaibs „im Franz West-Look“ (Grandits), der – auf einer Stange montiert – die Wartenden versammelt und vor der Witterung schützt. Wenn es je eine österreichische Architektur-Plastik gegeben hat, die das Attribut surreal verdient, dann ist es diese. Es handelt sich um Kunst im öffentlichen Raum. Das Objekt hat aber auch einen unmittelbar einleuchtendem Alltagsnutzen. Gleichzeitig entsteht ein unwirkliches Bild, das die Kraft besitzt die Wartenden und die Betrachter*innen zu träumerischem Denken zu verführen. Grandits lässt die Arbeiter*innen nicht im Regen stehen, verkauft sie aber auch nicht für dumm. Niemand soll obdachlos bleiben, Kunst ist für alle da.

⁠Too hot to cool

Auf gewisse Weise können die genannten Werke und Entwürfe als lokale Rück- oder Unterseiten seiner globalistischen Arbeiten verstanden werden (und umgekehrt). Auch diese treffen trotz ihrer lässigen Hüftschüssigkeit überraschend oft ins Schwarze und finden dabei ein inter-nationales Publikum. Beispielsweise wenn Unmengen von – um ironische sophistication – Bemühte Grandits‘ kleidsames „Chanel pour Clochard“ an ihrem Körper ausstellen (darunter Courtney Love). Dabei bleiben mindestens drei Fragen zurück: Wie realisiert sich die ästhetische Macht und das symbolische Kapital der Markenwelt durch Material und Gestaltung hindurch? Ist es wirklich möglich Fallen oder Barrikaden in die Sprache zu bauen? Last but not least: Wer sind hier die eigentlichen Penner?

Grandits‘ zahlreiche Arbeiten zu globalen und lokalen Identitätsan-geboten begehrter Fetisch-Objekte befragen nicht nur die feinen Unterschiede von Konsumpraktiken hinsichtlich der sich in ihnen konst-ituierenden Klassendimensionen, sondern erkunden auch welche Formen die Glückversprechen der Dingwelt dabei annehmen. Warum richten sich bestimmte gesellschaftliche Affekte und Energien zu besonderen Zeitpunkten auf spezifische materielle und immaterielle Objekte? Und: Was passiert dabei mit uns und den anderen? 

Der Schriftsteller und Filmemacher Alexander Kluge erklärt in seiner Chronik der Gefühle (2000), dass das Urmeer einst 37 Grad hatte und dass wir diese Betriebstemperatur eines vergangenen Planeten (auch dank der Leber) in unserer Körpertemperatur archiviert haben. In den Arbeiten Martin Grandits´ wird erfahrbar: Wenn wir die Hand in einen Urinstrahl halten, spüren wir das warme Plätschern jenes Ozeans, der alles Leben hervorbrachte. Wie das sprunghafte Gelenk eines vielglied-rigen Monsters oder eine berauscht Stammelnde artikulieren sie vieles zugleich: Nicht das Geringste dabei ist der von ernsthaftem Spiel angetriebene Beweis, dass sich Tauchgänge in den Meeren zeitgenössischer Sub-jektivität lohnen. Ein Wrack ist schließlich ein Ort an dem ein Schatz schlummert. Doch wenn Grandits´ Arbeiten zugleich auch Muscheln sind, was hören wir, wenn wir sie an unser Ohr halten? (Außer dem Rauschen unseres eigenen Blutes.)

⁠Ein kontinuierliches Interesse zieht sich durch das extensive
Grandits´sche Oeuvre: Der Zusammenhang zwischen der vorgestellten Gemeinschaft (der Nation, der Kunstsinnigen, der Modeaffinen usw.) und den Artefakten, die diese imaginierten  Gemeinschaften unterfüttern und bestärken, animieren, texturieren, konturieren, irritieren und subvertieren. Folgerichtig erklärt Grandits beispielsweise dem österreichischen Nationalbewusstsein durch präzise ansetzende, wiewohl paradoxe, Interventionen zu neuer Stärke verhelfen zu wollen, um dieses gegen politische Seelenfänger zu immunisieren.

⁠Psychohistorien praller Würste

So schlägt er – im Kontext des historischen Disputs zwischen öster-reichischer und slowenischer Regierung um die von letzterer rechtlich geschützte Bezeichnung „Krainer“ für Würste – vor auf dem Stephans-platz ein Käsekrainer-Denkmal zu errichten. ⁠
Als Mitglied der Käsekrainerfraktion (KKF) legt Grandits außerdem einen Entwurf für ein Bollwerk aus über-dimensionalen Krainerwürsten an der südlichen Grenze Österreichs vor. Bei seinem konsequent-irrwitzigen zu-Ende-Denken von hege-monialen Logiken und Begehrensformen handelt sich um die Kunst verräterischer Loyalität.


Herleitung des KKF Logos, 2014
ABSOLUT HARALD, C-Print auf Papier 2012

Die KKF tritt 2010 auf einem Plakat als Veranstalterin eines Vortrags zum Thema „Käsekrainer“ auf. Dieses ist unschwer als spöttelnde Hommage an das berühmt gewordene Veranstaltungsplakat zum Thema „Kunst und Revolution“ der Wiener Aktionisten (Valie Export hatte ihre Teilnahme unter dem Verweis „Spinnst, ich hab ein Kind“ abgelehnt) vom 7. Juni 1968 zu erkennen. Der Vortrag war ein Performance-Happening, das in die Kunstgeschichte einging, während der Boulevard dafür die Bezeichnung „Uniferkelei“ prägte und die Polizei prompt Strafverfolg-ungsmaßnahmen einleitete. Die Verfolgten flüchteten nach Berlin, wo sie ein Lokal eröffneten, um über die Runden zu kommen. Seitdem ist in Berlin Wiener Küche ein geläufiger Begriff. Aber was ist eigentlich
Wiener Küche? 

⁠„Die Wiener Küche, die unter diesem Begriff gesammelten Speisen, ...  erfuhren ihre volle Ausbildung in der Ersten Republik, ... als Souvenir ... der Monarchie und ihrer vielfältigen Ethno-Küchen, ... In den folgenden Jahrzehnten hat sich dieses Konstrukt einer Wiener Küche, die keinen geographischen Bereich, sondern einen psychohistorischen Raum abbildete, durch invention of tradition immer weiter in die Vergangenheit verschoben und mit ihm auch die einzelnen Speisen.“

Die Metamorphose der Wurst zum psychohistorischen Anzeiger veränderter Verhältnisse (nationalistischer Kulturkampf statt sozialrevolutionär gesinnte Kunstpraxis) wird verständlich: Sie ist eine Art Sonnenuhr, sie zählt die heiteren Stunden nur. Doch diese Zeit hat es nie gegeben. Sie ist in ihrer imaginären Rückbezüglichkeit (wie Venedig oder Alt-Wien) ein Traum der Gegenwart, der mit offenen Augen geträumt wird. Grandits´ Moonwalk (ein Schritt nach vorn, zwei zurück) fordert uns auf, den somnabulen Zeitlichkeiten alptraumhafter Realitäten Beachtung zu schenken. Wie Bauhaus auf LSD wirkt es, wenn ein Grandits´scher  Lampenschirm freimaurerische Symbolik mit KKK-Bezügen verbindet oder man den Fehler begeht, sich über seinen „Hinduistische[n] Bistrotisch für Germanisten mit latentem Koksproblem“ zu beugen.

⁠Verbindungslinien ziehen

⁠Die geradezu kultische Verehrung von Idolen, Moden und Marken ist vielfacher  Gegenstand von Grandits´ akrobatischer Arbeit an der Form. Diese lotet unter anderem die taktischen Möglichkeiten der Aneignung und Subvertierung ästhetischer Macht durch minimale und brachiale Eingriffe aus. Dabei spuken Kunstfiguren wie Marin Gita, aber auch tote Stars wie Oskar Kokoschka, Harald Juhnke und Udo Jürgens sowie lebende Prominente wie Herbert Prohaska, Lady Gaga und H.C. Strache durch die Grandits'schen Multiversen.

Während der ehemalige Musik-Star und „echte“ Österreicher Reinhard Fendrich, der sich einst in einer Tages-zeitung unter der Überschrift „Ich habe einen Sportwagen durch die Nase gezogen“ zu seinem exzessiven Kokainkonsum bekannte, schnell rehabilitiert war, zeigte sich die mediale Öffentlichkeit gegenüber den „Fehlern“ anderer ehemaliger Austro-Stars wie Tony Wegas deutlich weniger nachsichtig. Grandits leidet nicht an dieser Form selektiver Amnesie. Er würdigt Fendrich erinnerungskulturell mit dem Entwurf eines Mahnmals in Form einer Kokain-Spur, die einmal um die gesamte Ringstraße führen soll. Was riechen wir, wenn wir die Nase an die Straßen der Geschichte halten?

Die Ringstraße befindet sich auf der Fläche des Glacis, jenem bebauungsfreien Areal vor der historischen Stadtmauer, das den ungehinderten Beschuss von Angreifern ermöglichen sollte. Die Wiener Stadtmauer und das Glacis blieben zum Schutz vor Aufständen der eigenen Bevölkerung (äußere Feinde besaßen schon lange schwere Artillerie, die die mittel-alterliche Befestigungsanlage leicht sturmreif schießen konnten) bis spät in neunzehnte Jahrhundert erhalten als vergleichbare europäische Städte ihre Befestigungen längst geschleift hatten. Aus diesem Grund hat die Ringstraße streng genommen keine Kurven, sondern besteht aus geraden,  miteinander verbundenen Linien-Abschnitten (engl. „lines“), um im Fall von Aufständen gerade Schussbahnen für die Artillerie zu haben und Barrikaden zusammenschießen zu können. Der Ringstraßenbau transformierte eine vormals militärische Architektur zur Verteidigung der sozialen Ordnung und zur Verhinderung illegitimer Bewegungen zu einem imperialen Korridor urbaner Mobilität. Welches Verhältnis besteht heute zwischen kriminalisierten Rauschmitteln, der Bewegung von Körpern im Raum und der Aufrechterhaltung der sozialen Ordnung?

⁠Pillepalle

Kokain ist längst keine Glam-Droge mehr. Nicht nur fallende Preise sind dafür verantwortlich, sondern auch die zunehmende gesellschaftliche Entgrenzung von Rausch und Enhancement. Die moderne Disziplinarmacht (Michel Foucault) wirkte durch orthopädische und architektonische Mittel von außen auf den Körper, indem sie diesen in Institutionen (Schule, Fabrik, Kaserne, Krankenhaus, usw.) einschloss und unterwarf.
In zeitgenössischen Kontrollgesellschaften (Gilles Deleuze) werden die Körper zunehmend auch von innen diszipliniert, indem sie lustvoll partizipieren. Paul Beatriz Preciado hat für diese neue Machtform der Regierung von Subjektivität den Begriff der Pharmapornografie geprägt. 

Zum pharmakologischen Aspekt gehört die massenweise Verabreichung sowie Selbstbehandlung durch biomolekulare Entitäten: Östrogene zur Geburtenkontrolle (oder zum Hautmanagement) und Ritalin zur Behandlung von Kindern mit der Diagnose „Aufmerksamkeitsdefizitstörung“ (oder zur Leistungssteigerung vor Knock-Out-Prüfungen) gehören hier genauso dazu wie die Veränderung von Massensexualität durch Viagra oder die großmaßstäbliche Einnahme von Stimmungsaufhellern und Beruhigungsmitteln. Die Zirkulation, Konsumption und Produktion von sexy Bildern bilden die pornografische Dimension des zeitgenössischen Regimes der Begehrensproduktion und Selbstdisziplinierung durch Fun. Diese reicht von der ersten mit Marilyn Monroes Konterfei bedruckten Illustrierten und dem Erscheinen des Playboy-Magazins bis zu der heutigen Instagram-Kultur und dem Zwang milieuspezifische Sexyness
zu performen. 

Die zahlreichen Arbeiten des Künstlers zu Exzess und Rausch bringen uns dazu darüber nachzudenken, welche Beziehung zwischen sozialer Mobilität, illegalisierten Substanzen und dem ganz normalen Funktionieren zeitgenössischer Marktwirtschaften besteht. Ist die Afterhour unsere Ontologie? Während früher das Wochenende in Abgrenzung zu den Logiken der Erwerbsarbeit funktionierte, wird heute zunehmend an den freien Abenden und Wochenenden alles das trainiert, was an den neuen Arbeitsplätzen erwartet wird: Begeisterungsfähigkeit und Identifikation mit dem Arbeitsprozess, soziale Skills wie Teamfähigkeit und Netzwerken, Leichtigkeit vermitteln bei der Verrichtung schwerer Arbeit, usw. Kurz: Samstag ist der neue Montag, statt blue monday heißt es nun „drei Tage wach“.

Grandits‘ Serie von Monstranzen aus verbrannten Pizzen auf Sockeln, die an Siegerpokale erinnern, präsentieren in ihren Fensterbereichen Pillen als zeitgenössische Hostien zur Verehrung und Anbetung. Hat der Körper Gottes heute Tablettenform angenommen? Wenn ja, dann taugt Grandits nicht als Priester dieser Kirche. Er ist vielleicht ihr komischer Heiliger, denn er leidet an Visionen. Man weiß tatsächlich oft nicht, ob man lachen oder weinen soll. Der tiefsinnige Leichtsinn, der aus manchen seiner Arbeiten herausgrinst, beweist aber ohne jeden Zweifel: Humor ist eine infektiöse Überlebenswaffe. 


„Erdnussbutter-Pillepaller“, C-Print auf Papier 2009